Rechtlich unantastbar, aber moralisch äußerst verwerflich

In einem Verwaltungsstreitverfahren des Küllmer-Nachbarn Müller gegen die Stadt Marburg verwehrt das Verwaltungsgericht Gießen den beantragten Eilrechtsschutz

Dem Anraten des zuständigen Bürgermeisters folgend (s. Oberhessische Presse vom 15.9.2012) hatte der vom Neubau der Eheleute Küllmer direkt betroffene Nachbar am 10.10.2012 beim Verwaltungsgericht in Gießen einen Eilantrag gestellt mit dem Ziel, die bereits erteilte Baugenehmigung auszusetzen; denn seiner Ansicht nach verstößt der Neubau nicht nur gegen das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme, sondern er passt sich auch in keiner Weise in die Eigenart der näheren Umgebung ein, die durch den einheitlichen Bestand der benachbarten Häuser und die Vorschriften des Bebauungsplanes 7/4 für das Gebiet Fähnrichsweg/Höhlsgasse bestimmt ist. In seinem Beschluss vom 16.11.2012 folgte das Gericht dieser Argumentation nicht und wies die Klage ab. Hinsichtlich der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme erkennt es zwar die subjektive Verschlechterung der Wohnsituation des Nachbarn an, sieht aber eine Überschreitung der Grenze der Unzumutbarkeit als nicht gegeben an.
Soweit das Urteil des Verwaltungsgerichts, das der Stadt Marburg die Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung bescheinigt, wie sie den protestierenden Anliegern im Rahmen der Schau vom 4.10.2012 in überheblich anmutender Selbstsicherheit der Ressortleiter demonstriert wurde. Das moralisch Verwerfliche aber liegt darin, dass die Bausünde bereits im Vorfeld nicht hätte zugelassen werden dürfen, will die Weltkulturerbe-Stadt in spe (s. am Anfang dieses Blogs) sich nicht weiterhin den schlechten Ruf architektonischer Fehlgriffe ankreiden lassen. Spätestens zu dem Zeitpunkt, als der Widerstand nahezu sämtlicher Anlieger des Wohnviertels bekannt wurde, wäre es dem Magistrat noch möglich gewesen, die Baugenehmigung gänzlich zu widerrufen oder zumindest nachbarverträglich modifizieren zu lassen. Die Chancen für den Eilantrag des Nachbarn, der bis zuletzt auf einen außergerichtlichen Kompromiss gehofft hatte, waren auch deshalb schon vermindert, weil sich mit jedem Tag der unzumutbar langen Wartezeit unaufhaltsam die Kosten des fortschreitenden Baus vermehrten. Die Stadt hat mit der Genehmigung des von seiner Umgebung abgelehnten neuen Bauwerks zugleich Trümmer hinterlassen: die Unzufriedenheit ihrer Bürger, die die Frage nach dem ungerechten Zweierlei Maß in ihrem Viertel auch fortan weiter beschäftigen wird und die sich in ihrem so vehement vorgetragenen Anliegen übergangen fühlen. Nach wie vor muss sich die Stadt Marburg dem Vorwurf stellen, dass hier Sonderrecht für eine einflussreiche Person geschaffen wird, während die Belange vieler einzelner Bürger missachtet werden. Die Warnung nach der gestörten Harmonie wurde von der während des laufenden Verwaltungsstreits sich untätig zurücklehnenden Stadt überhört und der zunehmend lauter geäußerte Unfrieden weiter geschürt. Sollte das Haus nun ohne jede Änderung des Plans zu Ende gebaut werden, müssen sich die neuen Bewohner der Höhlsgasse darauf einstellen, dort künftig als personae non gratae leben zu müssen. Ihrem bisherigen Verhalten nach zu urteilen, fiele ihnen dies nicht allzu schwer. Mitleid zu erhoffen, wäre nur heuchlerisch.
Der Bauherr aber hat – sich mit dem Recht zu bauen in der Tasche in Sicherheit wissend – es nicht einmal für wert befunden, sich persönlich der Aufforderung der aufbegehrenden Bürger zu stellen oder zumindest seinen Architekten mit der Suche nach einem Kompromiss  zu beauftragen. Hier aber liegt die Steigerung verwerflichen Handelns: in rücksichtslosem und täuschendem Verhalten auf die ursprünglich angebotene gute Nachbarschaft in arroganter Weise zu verzichten und sich hinter dem Bollwerk des in der Sicht der Anlieger deplatzierten Kubus zu verschanzen. Die Masse aus Beton und Glas erstickt das erhaltenswerte Grün eines einst prämierten Gartens in gleicher Weise wie das gute Auskommen mit den Menschen in der Nachbarschaft. Liegt hier nicht eine Fehlinvestition gigantischen Ausmaßes vor?

Walter Müller, Höhlsgasse 8

Trübe Aussicht – Blick auf die Baustelle am 20.11.2012

5 Kommentare zu „Rechtlich unantastbar, aber moralisch äußerst verwerflich

  1. Mit zunehmender Bestürzung verfolgen wir, wie wohl viele andere, die baulichen Verwerfungen, mit denen ein wohl größenwahnsinniger Bauherr die bisherige! Wohnidylle rund um die Höhlsgasse in Marburg zerstört. Die aktuellen Phozos der Baugrube erinnern an eine frische Wunde, die dem entsetzten Betrachter körperlich fast spürbar wird. Schade, sehr schade nicht nur für die unmittelbaren Nachbarn, sondern auch für die ganze Kommune, daß solches in ihren Mauern zugelassen werden kann. Die Öffentlichkeit ist mit Recht aufgebracht ob eines solchen Gebarens nach Gutsherrenart. Es bestätigt sich leider aufs neue: Wenn dickfellige Kommunalbehörden und ein mit der Sensibilität eines Elephanten im Porzellanladen ausgestatteter bauwütiger Krösus zusammentreffen, kann wahrlich nur Unheil herauskommen.

    Rainer und Marianne

  2. Herr Müller und seine Nachbarn beweisen die Macht des Egoismus!
    Nur „ICH“ habe Recht, alle anderen (einschließlich der deutschen Gerichte) sind Idioten, die keine Ahnung haben. Was Herr Müller will muss getan werden – auch gegen geltendes Recht.
    Eine tolle Gesellschaft!!! Einfach zum Kotzen.
    Herr Müller: Sie haben das Gericht angerufen; das Gericht hat Ihnen ein Urteil gegeben. Jetzt erkennen Sie das endlich an und begraben den Fehdehandschuh, statt ihrem zukünftigen Nachbarn weiter zu drohen mit „persona non grate“ etc.
    Der (nachbarschaftliche) Frieden sollte auch von Ihnen höher gewertet werden als Ihr Egoismus.

  3. In ein paar Monaten steht das Bauwerk und jeder kann selbst beurteilen, ob die Anwohner von Höhlsgasse und Fähnrichsweg „Egoisten“ sind oder Bürger, die sich für Ihre Umgebung und Ihre Stadt einsetzen.

    Den Frieden und das Straßenbild retten kann alleine der Bauherr …….

    • Das Straßenbild kann vielleicht der Bauherr „retten“. Ok.
      Aber das ist sowieso Geschmacksache.

      Den Frieden aber kann jeder Beteiligte retten und nicht nur der Bauherr.

  4. zu „noch ein Marburger“
    Hier wurde lediglich ein Eilantrag in unterster Instanz abgelehnt. Im Eilverfahren wird vorrangig die Eilbedürftigkeit der Sache geprüft und der eigentliche Sachverhalt nur kursorisch, soweit zur Beantwortung dieser Frage erforderlich, geprüft.
    Die Prüfung in der Hauptsache (Normalverfahren ohne Eile) kann ganz anders ausfallen. Ferner wird ein erheblicher Anteil der Entscheidungen der untersten Instanzen in einer höheren Instanz wieder einkassiert. Schließlich sind auch eine Reihe höchstrichterlicher Entscheidungen in der Literatur höchstumstritten und fallen aus der Logik des Bisherigen heraus. Endlich widersprechen sich schon bereits die Texte einige Gesetze und Verordnungen.
    Zwischen Recht haben und Recht bekommen liegt bekanntlich ein meilenweiter Unterschied.
    Das VG Giessen tendiert erfahrungsgemäß dazu, in Angelegenheiten Bürger gegen Stadt der Stadt Recht zu geben, in Sachen Stadt gegen Regierungspräsidium oder gegen Land letzteren.

    Allerdings wird auch das VG Gießen schon allein aus Glaubwürdigkeitsgründen und um sich nicht vor dem OVG zu blamieren, im langjährigen Mittel in einem gewissen Anteil von Verfahren (z.B. 10-20%) dem Bürger Recht geben müssen.

    Da das erstinstanzliche Klagen ohne Anwalt möglich und daher sehr billig ist (meist wird der niedrigstmögliche Streitwert von 5000€, im Eilverfahren grundsätzlich die Hälfte angesetzt, die Kosten belaufen sich dann auf derzeit 243€ bzw. die Hälfte, die wiederum zu gleichen Teilen auf alle Kläger aufgeteilt werden) – sofern keine Beigeladene eigenen Anträge stellt – bietet sich eine Schrotschusstaktik an:
    Wenn Marburger Bürger nur oft genug beim VG Gießen gegen die Stadt klagen, wird es irgendwann auch mal einem Bürger Recht geben. Schließlich wird das VG Gießen dann auch irgendwann einmal nicht nur mehr vom Bürger, sondern auch von der Stadt Marburg angenervt sein.

    Herr Müller hat in höchstem Maße altruistisch gegenüber all jenen gehandelt, die Eingriffe des Staates in ihr Eigentum zu erleiden haben. Wer Menschen, die auf legale Weise Ihr redlich erarbeitetes Eigentum verteidigen, als Egoisten bezeichnet, redet der Diktatur das Wort.

    Also: Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht für eigenen Grundbesitz versichern (ist bei den meisten Policen nicht mit abgedeckt), Contenance bewahren und unermüdlich sowohl symmetrisch, als auch assymmetrisch im Rahmen der legalen Möglichkeiten kontinuierlich auf die Stadtverwaltung Marburg draufprügeln wann immer sie das Eigentum und die Freiheit ihrer Bürger nicht respektiert. Dabei ist es völlig unerheblich, welche Parteien tonangebend sind – der Bürger spielt die Hauptrolle.

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