Vollständiger Leserbrief vom 30.10.2012

Am 30.10.2012 hat die Oberhessische Presse einen Leserbrief von Marlies Müller veröffentlicht. Da er von der OP-Redaktion leicht gekürzt wurde, veröffentlichen wir hier die vollständige Version.

Zum Artikel vom 6.10.12 „Keine Annäherung im Streit um Neubau“
Im Trend der Ellenbogengesellschaft
Bis noch vor kurzem war die Höhlsgasse eine friedliche, idyllische Gegend, geprägt auch durch ein soziales Miteinander. Durch Bauherrn, denen die Erhaltung eines solchen sozialen Biotops anscheinend gleichgültig ist, änderte sich mit einem Schlag das Klima. Mir kommt es vor wie die Vertreibung aus dem Paradies. Man mag mir Übertreibung vorwerfen, aber anders kann ich die Empfindungen nicht formulieren, die mich bewegen. Welche Motive veranlassen Bauherrn, klammheimlich einen Plan zu favorisieren, der dem Nachbarn einen Kubus nicht nur vor die Nase, sondern vor die Augen und besonders vor die Seele setzt. Wie kann es sein, dass das Baurecht eines Einzelnen sich über die berechtigten Anliegen und Wünsche vieler Anwohner und vieler Bürger Marburgs hinweg setzen darf? Was hindert die Bauherrn daran, einen ohnehin schon einmal geänderten Plan nicht doch noch so zu modifizieren, dass er die Zustimmung der Anwohner finden kann? Ist die Durchsetzungsfähigkeit wichtiger als das gute Gefühl, in Eintracht mit den Nachbarn leben zu können? Ist nicht dort auch ein Weg, wo ein Wille ist? Ist das Nachbar-Ehepaar nicht in der Lage sich einzufühlen, wie sie reagieren würden, wenn ihnen passieren würde, was uns passiert? Aber sie liegen mit ihrer Haltung voll im Trend der einfühlungstauben Ellenbogengesellschaft. Der Nachbarzwist ist vorprogrammiert. Die Bauherrn scheuen sich nicht, den Umfang des für den Standort Höhlsgasse überdimensionierten Projekts zu verniedlichen, dessen Maße nicht detailliert bekannt zu geben, oder die 900 qm Wohnfläche durch den nicht nachzuvollziehenden Ausschluss von Haustechnik und Versorgung auf 400 qm zu verkleinern, um die erregte Öffentlichkeit zu beruhigen.
Aber die Planung der Bauherrn wäre ja Schall und Rauch, wenn dazu nicht die Willfährigkeit und daraus folgend die Willkür der verantwortlichen Marburger Behörden und politischen Formationen kämen. Eine Anhörung konnte nur durch politischen Druck erzwungen werden, und selbst da war die Arroganz des kritisierten politischen Blocks noch überdeutlich zu spüren. Man spielt auf Zeit, um den Protest zu ersticken. Aber das Signal ist fatal: Was heute den Müllers passiert, ist in Marburg morgen bei den Meiers möglich. Das Vertrauen der Marburger in eine bürgernahe und gerechte politische Vertretung steht auf dünnem Eis. Nur zur Erinnerung Artikel 21 Grundgesetz: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“. Da steht nicht „Willensbildung eines Einzelnen“. Wir sind das Volk. (siehe www.marblog.de)

Marlies E. Müller, Höhlsgasse 8, 3039 Marburg

3 Kommentare zu „Vollständiger Leserbrief vom 30.10.2012

  1. Warum erfährt man nicht, dass die Zahlbachgemeinde ihre Unterstützung zurück gezogen hat, nachdem sie sich beide Seiten angehört hat? Warum erfährt man nicht, dass Dr. Müller noch ganz schnell Bäume auf dem Nachbargrundstück gefällt hat, als er vom Verkauf des Grundstücks erfuhr? Warum werden die Beiträge aus der Zeitung nicht aufgeführt, die das Verhalten des Nachbarn und seiner Meute kritisieren?
    Der Sache nicht dienlich? Der Blog womöglich nur ein Mittel zum Zweck, nicht objektiv und schon gar nicht „wir sind Marburg“?
    Na ich hoffe, euch wurde zumindest eine Gewinnbeteiligung versprochen, sollte der drohende Wertverlust der Höhlsgasse 8 noch abgewendet und das Ding irgendwann veräußert werden. Dann könnt ihr zumindest sagen „ich hab’s wegen des Geldes getan“. Dann ist weniger offensichtlich, dass ihr euch gerne zusammen rottet bevor ihr ‚Neues‘ und ‚Fremdes‘ aus ‚EURER‘ Strasse vertreibt!

  2. Es gibt auf dieser Webseite keine vorsätzliche Zensur. Wenn es tatsächlich Beiträge in der Presse gab, die hier nicht aufgeführt sind, dann steckt kein Vorsatz dahinter. Ich freue mich, wenn Sie mir die jeweiligen Veröffentlichungstermine nennen. Dann reiche ich die übersehenen Artikel nach.

    Dass Bäume (ein paar Fichten an der Grundstücksgrenze) gefällt wurden, ist richtig. Diese standen auf dem Grundstück Höhlsgasse 6. Die Fällung wurde noch von den Vorbesitzern veranlasst, allerdings auf Bitte der benachbarten Familie Müller. Es ging dabei wohl darum, mehr Licht aufs rundum bewaldete Grundstück zu bekommen. Was das mit dem Neubau zu tun haben sollte, erschließt sich mir nicht.

    Dass die Zahlbachgemeinde ihre Unterstützung zurückgezogen haben soll, stimmt nicht. Dies haben wir uns gerade telefonisch vom Vorstand der Zahlbachgemeinde bestätigen lassen.

    Der angesprochene Wertverlust des Grundstücks Höhlsgasse 8 ist real und betrifft Familie Müller. Verständlicherweise ist der Wertverlust einer von vielen Gründen für Familie Müller, gegen die Dimensionen des Neubaus zu kämpfen. Würden Sie anders handeln?
    Der restlichen Nachbarschaft zu unterstellen, hier würde irgendetwas des Geldes wegen getan, ist geradezu unverschämt, beleidigend und entbehrt jeglicher Grundlage.

    Gegen „Neues“ oder „Fremdes“ in der Straße hat niemand etwas. Ich persönlich würde den Neubau zu gerne beispielsweise gegen eine Kita oder Studentenwohnungen eintauschen. Davon brauchen wir hier tatsächlich mehr.
    Eine Verschandelung des Wohngebietes dagegen kann niemand gebrauchen.
    Und „vertreiben“ wollen wir auch niemanden. Jeder Mensch ist hier willkommen. Es geht grundsätzlich nicht um die Bauherren als Menschen, sondern um die Dimensionen des von ihnen geplanten Baus.

  3. Als meine Mutter das Grundstück damals kaufte…

    so ganz genau stimmt das nicht, es war mein Vater, der für das Geld sorgte, aber meine Mutter war der Motor, spontan und unmittelbar.
    Den beiden Gräfinnen von und zu Solms-Laubach vom Nachbarhaus lag damals, ca. 1956, bereits ein höheres Kaufangebot für „unser“ Grundstück vor. Sie entschieden sich aber für die Familie Wiehl mit ihren damals noch 5 Kindern, weil sie das Leben mochten.
    Einzige Auflage damals war: Keine Katzen!
    Ich sehe heute noch, wie die beiden alten Damen mit vorgestreckter Hand auf der Treppe zum Garten ihres herrschaftlichen Hauses standen und – sich Vögel auf ihre Hand setzten. Sie pickten die für sie vorgesehenen Körner aus ihren Händen. Auf mich machte das einen außerordentlich tiefen Eindruck.
    Wir Kinder kamen, wenn wir mal einen verletzten Vogel aufgefunden hatten, immer zu ihnen. Die Gräfinnen wussten sie zu pflegen. Solche Treffen waren nie mit Dank bedacht – wem auch sollte man danken, und wofür? – aber immer mit einer, wie sag ich’s? – Hingabe, Behutsamkeit und Wärme.
    Wir waren damals nicht reich. Grundstückskauf und Hausbau lastete lange auf meinen Eltern, auch wenn der damalige Preis aus heutiger Sicht geradezu läppisch wirkt. Es gab einige Not. Da brachten die Gräfinnen mit ihrem nahezu franziskanischem Geist einen ganz und gar anderen Windhauch in unsere Mitte.
    Unser Verhältnis zu ihnen war immer gut; nur einmal erinnere ich, gab es Empörung auf ihrer Seite. Das war, als meine Eltern an der Spitze des Gartens die zu ihnen herüber gewandte Trauerweide fällten. Ich kann kaum sagen was, aber es war da etwas in der natürlichen Ordnung gestört. Und die Gräfinnen mahnten das an.
    Viele werden diese kleine Begebenheit mit einer Handbewegung abtun. Mir bedeutete es etwas. Es gab eine Wachheit, eine Aufmerksamkeit, die allein durch ihr Aufmerken schon auf eine oft übersehene Sichtweise hin öffnete.
    Die beiden Schwestern waren wohlhabend, nehme ich an. Genau kann ich’s nicht wissen. Eine dritte, früher verstorbene Schwester aus ihrer Mitte schrieb Gedichte. Sie war durch eine Hasenscharte missgestaltet. Ihre Eltern bereiteten sie früh auf ihr künftiges Schicksal, in Einsamkeit leben zu müssen, vor.

    Jetzt scheint, wie ich höre, ein ganz und gar neuer Geist über dieses Stückchen Grund gekommen zu sein.
    Auch wenn ich dort nie mehr wohnen werde, würde ich mich doch sehr freuen, und es irgendwie mit einem Frieden danken, wenn ein „Stückchen“
    von diesem gräflichen Windhauch mit einziehen würde.

    Andreas Wiehl
    (Sohn von Frau Dr. Irene Wiehl, der vormaligen Eigentümerin des Hauses Höhlsgasse 6)

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